Darf ein orthodoxer Christ mit Andersgläubigen auf religiöser Ebene kommunizieren und in ihren Kirchen beten? Was unterscheidet die orthodoxe Kirche von anderen Religionen? Was lehnt das Christentum an anderen Religionen ab? Darf ein orthodoxer Christ den Koran lesen, eine Moschee oder eine Kirche betreten, dort beten, Andersgläubige zu ihren religiösen Feiertagen beglückwünschen und aus Interesse Matzen probieren, die in den örtlichen Supermarkt geliefert wurden? Welche Themen sollte man im Umgang mit Katholiken, Protestanten oder Muslimen besser nicht ansprechen?
Beantwortet von Protopriester Vadim Morozov
„Alle, die zu Gott kommen und das ewige Leben erlangen wollen, müssen vor allem den orthodoxen Glauben untadelig befolgen. Sie dürfen nicht aus Schmeichelei gegenüber den Mächtigen oder aus Angst vor ihnen zu Verrätern des unschätzbaren Schatzes des Glaubens werden, um Ämter zu erlangen. Freundet euch niemals mit Ketzern an, esst und trinkt nicht mit ihnen, begleitet sie nicht auf Reisen, betretet nicht ihr Haus und ihre Versammlungen, denn alles, was sie haben, ist unrein. Halte dich fern von Schismatikern und Ketzern, insbesondere von denen, die die Lehre Christi verdrehen.“ Wer vom wahren Glauben abweicht und den Irrlehren anderer folgt, wird zum freiwilligen Verkünder der Lehre der Dämonen.“
Diese Worte des großen Lehrers Ephrem der Syrer aus dem 4. Jahrhundert beziehen sich keineswegs auf eine feindselige Haltung gegenüber Nicht-Orthodoxen, sondern auf die Bewahrung des Schatzes des Glaubens, den wir vor häretischen Lehren schützen müssen.
In unserer Zeit, in der Reisen um die Welt für sehr viele Menschen möglich sind, in der Menschen aus verschiedenen Gründen ihren Wohnort leicht wechseln und in der der Umzug in ein anderes Land ebenso alltäglich geworden ist wie vor ein paar Jahrzehnten der Umzug in eine andere Stadt, stehen Gläubige oft vor dem Problem, dass es in der Nähe ihres neuen Wohnorts keine orthodoxe Kirche gibt, oft nicht einmal im Umkreis von Hunderten von Kilometern. Einige lösen dieses Problem, indem sie ihr spirituelles Leben auf das Gebet zu Hause und die gelegentliche Teilnahme an den Sakramenten beschränken, wenn sich aus dem einen oder anderen Grund eine solche Gelegenheit bietet. Andere beginnen, über eine vorübergehende Alternative nachzudenken. Offensichtlich können Orthodoxe nicht in Kirchen anderer Konfessionen die Kommunion empfangen, beichten oder ihre Kinder taufen lassen, aber an den Sakramenten teilzunehmen und einfach nur in die Kirche zu gehen, sind zwei verschiedene Dinge. Kann man also durch den Besuch einer Kirche einer anderen Konfession zumindest irgendwie seinen spirituellen Hunger stillen?
Was tun wenn es in der Nähe nur eine katholische Kirche gibt?
Die häufigste Frage von sich in Europa befindlichen Orthodoxen lautet: „Dürfen Orthodoxe eine römisch-katholische Kirche betreten?” Auf den ersten Blick ist diese Frage leicht zu verstehen. Wenn es in der Nähe keine orthodoxe Kirche gibt, ist es dann nicht besser, wenigstens eine katholische Kirche zu besuchen, als gar keine? Nun, ich muss Sie enttäuschen. Nein, das ist nicht besser. Die Grundlage des Gottesdienstes ist die Eucharistie. Die Menschen, die zur Liturgie kommen, sind in erster Linie eine eucharistische Versammlung. Das heißt, in einer solchen Versammlung gibt es nicht einfach „Anwesende und Betende”, da die Eucharistie von der gesamten Versammlung gefeiert wird und alle Teilnehmer Mitwirkende sind. Natürlich wird die Versammlung von einem Priester oder Bischof geleitet, jedoch die Liturgie ist eine gemeinsame Angelegenheit. Daher ist es unmöglich, sich herauszuhalten, denn jeder Anwesende nimmt unmittelbar daran teil.
Vor diesem Hintergrund stellen wir erneut die Frage: Kann ein Orthodoxer an einer Versammlung einer Konfession teilnehmen, die nicht zu der orthodox-christlichen Gemeinschaft gehört, der er angehört? Kann er an einer gemeinsamen Sache einer ihm fremden Gemeinschaft teilnehmen? Die Antwort liegt auf der Hand: Wo ich nicht die Kommunion empfangen kann, kann ich auch nicht am Gottesdienst teilnehmen.
Logischerweise ergibt sich daraus die Frage: Darf ein Orthodoxer in einer römisch-katholischen Kirche einfach beten? Darf er in die Kirche kommen, um mit Gott zu kommunizieren, wenn kein Gottesdienst stattfindet? Meiner Meinung nach ist es sinnvoll, diese Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. Ist das wirklich notwendig? Bringt ein solches Gebet mehr als ein Gebet zu Hause? Kaum. Eine Ausnahme könnte nur der Umstand sein, dass sich in der Kirche eine allgemeine christliche Reliquie befindet, wie die Gebeine des Heiligen Nikolaus in Bari. In diesem Fall ist es für einen Orthodoxen zulässig, in einer römisch-katholischen Kirche zu beten, ohne dass dies verwerflich wäre. Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Grund, warum Orthodoxe römisch-katholische oder alte evangelische Kirchen besuchen. Dieser Grund ist informativer Natur.
Westliche Kirchen können oft aus historischer Sicht interessant sein, wie beispielsweise Notre-Dame de Paris oder die Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau, in der das Herz von Frédéric Chopin aufbewahrt wird. Auch die oft in Kirchen stattfindenden Orgelkonzerte sind häufig interessant.
Manche werden mir entgegenhalten, dass römische-Katholiken doch in orthodoxe Kirchen gehen dürfen. Schließlich wurden Katholiken in der Sowjetzeit sogar als Paten genommen und die orthodoxen Priester hatten nichts dagegen. Vielleicht hatten sie tatsächlich nichts dagegen. Zu Unrecht. Der Pate ist bekanntlich der Bürge vor der Kirche für das neue Mitglied, und nur ein Gleichgesinnter kann dafür bürgen. Die oben beschriebene Praxis verdient es also keineswegs, als Beispiel angeführt zu werden. Im Gegenteil, sie verdient eine direkte Verurteilung als unzulässiger und ungerechtfertigter Verstoß. Allerdings ist es Katholiken nicht verboten, in orthodoxen Kirchen zu beten. Es gibt nämlich sehr viele Katholiken, die seit ihrer Taufe nie in einer Kirche waren. Oft sehen sie den einzigen Unterschied zwischen einer römisch-katholischen und einer orthodoxen Kirche in der Anwesenheit von Bänken. Wenn ein solcher Katholik in eine orthodoxe Kirche kommt, dann hat ihn der Herr dorthin geführt – gut, dann soll er eben beten. Vielleicht entwickelt er dann Interesse und der Übertritt zum Orthodoxie ist nicht mehr weit.
Allerdings sind weder die Orthodoxen noch die römische-Katholiken in der christlichen Welt allein.
Tatsächlich gibt es weltweit zahlreiche christliche Konfessionen, die sich erheblich voneinander unterscheiden. Lassen Sie uns gleich das Offensichtliche festhalten. Das Fehlen einer eucharistischen Gemeinschaft zwischen der orthodoxen Kirche und anderen Konfessionen ist weder zufällig noch aus dem Nichts entstanden. Obwohl wir alle Christen sind, obwohl wir alle dieselbe Bibel haben und obwohl unser Gottesdienstleben viele Gemeinsamkeiten aufweist, gibt es zwischen uns und jeder christlichen Konfession Unterschiede in der Glaubenslehre. Der Unterschied zwischen uns ist also grundlegend. Und deshalb ist er prinzipiell. Gegenüber jeder christlichen Konfession, in der das richtige Verständnis der Eucharistie als tatsächliche Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi erhalten geblieben ist, können wir ungefähr denselben Ansatz wie gegenüber der römisch-katholischen Kirche vertreten. Zu diesen Konfessionen gehören die Armenische Kirche, die Koptische Kirche, die Äthiopische Kirche, verschiedene nestorianische Kirchen und generell die vor-chalkedonischen Kirchen.
Das heißt, es ist beispielsweise Armeniern oder Kopten gestattet, orthodoxe Kirchen zu besuchen. Sie werden allerdings nicht mit uns die Kommunion empfangen und ihre Anwesenheit beim Gottesdienst stört niemanden. Ich muss allerdings anmerken, dass all diese „man darf” und „es ist erlaubt” von uns Orthodoxen ausgehen. Wie die katholische, armenische, koptische oder andere Geistlichkeit dazu steht, weiß ich nicht, obwohl ich vermute, dass es in ihren Reihen möglicherweise keine Einigkeit in dieser Frage gibt.
Erinnern wir uns noch einmal daran, dass sich in den Kirchen der Armenischen oder Koptischen Kirche alte allgemeinchristliche Heiligtümer befinden können, vor denen zu beten keineswegs verwerflich ist. Darüber hinaus haben einige vorchalcedonische Kirchen aus verschiedenen Gründen seit unserer Trennung viele alte Traditionen im Gottesdienst beibehalten. Das veranlasst viele, darunter auch orthodoxe Forscher, ihre Gottesdienste zu besuchen – wenn auch hauptsächlich zu wissenschaftlichen Zwecken.
Und was ist, wenn das Land überhaupt nicht christlich ist?
In der Liste der Länder, die regelmäßig von unseren Landsleuten besucht werden, gibt es auch viele nichtchristliche Länder: muslimische Länder, asiatische Staaten und Indien. Es versteht sich von selbst, dass Kultstätten und Gebäude anderer Religionen für Christen äußerst unerwünschte Orte sind. Die direkte oder indirekte Teilnahme an nichtchristlichen religiösen Zeremonien jeglicher Art ist für einen Christen unzulässig. Dabei kann unsere Unkenntnis der Feinheiten buddhistischer oder heidnischer Rituale einem Christen, der sich als Tourist in einer hinduistischen oder buddhistischen Kultstätte befindet, einen bösen Streich spielen. Oftmals ist die passive oder aktive Teilnahme an einer religiösen Zeremonie Teil des Ausflugsprogramms in dem einen oder anderen Kultgebäude. Berücksichtigt man zudem, dass uns mit der Kultur Indiens oder der Länder Asiens nichts verbindet, ist die vernünftigste Empfehlung für Orthodoxe, alle Kultstätten anderer Religionen zu meiden und sie weder als Ausflügler noch als neugierige Zuschauer zu betreten.
Das Gleiche gilt auch für Moscheen. Leider lässt sich nicht leugnen, dass die vor einigen Jahren grassierende Begeisterung für türkische Fernsehserien bei unseren Leuten eine etwas seltsame Einstellung zum Islam hervorgerufen hat – nach dem Motto: „Sie sind fast wie wir.“ Sie glauben schließlich auch an einen einzigen Gott und verehren Christus als Propheten. Ich stimme zu, dass der Islam eine der abrahamitischen Religionen ist und darüber hinaus, im Gegensatz zum Hinduismus, monotheistisch ist. All dies verbindet den Islam jedoch in keiner Weise mit dem Christentum. Für uns ist der Islam eine völlig andere Religion, die sich vom Christentum stark unterscheidet und daher für Christen fremd ist. Für einen Christen gibt es keinen Grund, zum Gebet in die Moschee zu gehen. Selbst wenn das Land, in dem er lebt, vollständig islamisch ist und es außer Moscheen keine anderen Kultstätten gibt. Niemand kann uns verbieten, zu Hause zu beten. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, dafür einen besonderen Ort zu suchen, wenn es im Umkreis von Hunderten oder sogar Tausenden von Kilometern keine orthodoxe Kirche gibt.
Allerdings gibt es Ausnahmen. So gibt es auf dem Gebiet der heutigen Türkei zahlreiche alte, historisch bedeutende Kirchen, die zu verschiedenen Zeiten von den Türken in Moscheen umgewandelt wurden. Wir sollten uns daran erinnern, dass eine Kirche für uns Christen immer eine Kirche bleibt, auch wenn der Altar entfernt und Sure aus dem Koran an den Wänden aufgehängt wurden. Das bekannteste Beispiel ist die Hagia Sophia in Konstantinopel. Daher ist es für Christen selbstverständlich, solche Tempel sowohl zum Beten als auch zu Forschungszwecken zu besuchen.
Abschließend möchte ich anmerken, dass viele der oben beschriebenen Probleme vermieden werden können, wenn bei einem Umzug ins Ausland die Nähe der geplanten Wohnung zu einer orthodoxen Kirche berücksichtigt wird. Was touristische Reisen betrifft, sollte ein gläubiger Mensch nicht vergessen, dass er in erster Linie Christ und erst in zweiter Linie Tourist oder Urlauber ist.

Die Reliquien des Heiligen Nikolaus des Wundertäters befinden sich in der römisch-katholischen Kathedrale der italienischen Stadt Bari. Als unsere Pilgergruppe dort ankam, fand gerade eine katholische Trauung statt. Im unteren Seitenschiff unter der Hauptkirche, wo die Reliquien des Heiligen aufbewahrt werden, hielten orthodoxe Priester die Liturgie ab. In diesem Seitenschiff gibt es zwei Altäre: einen orthodoxen, der durch ein Gitter ersetzt wird, das die Ikonostase darstellt, und einen katholischen Altar, der frei zugänglich ist. Es gibt sogar Ornamente, die denen in unseren Kirchen ähneln, jedoch ohne orthodoxe Ikonen. Die Katholiken erlauben freundlicherweise den Orthodoxen, donnerstags Gottesdienste abzuhalten.
Die orthodoxe Kirche hat ein kleines Grundstück neben der katholischen Kathedrale gekauft. Darauf wurden eine orthodoxe Kirche und ein Hotel für Pilger errichtet.
Als wir in Polen waren, besuchten wir die orthodoxe Kirche zur Geburt der Heiligen Jungfrau Maria. Wir besuchten auch römisch-katholische Kirchen, sofern dort kein Gottesdienst stattfand. Es war interessant, diese Werke westlicher Architektur zu sehen. Während wir die Ikonen Christi betrachteten, priesen wir natürlich Gott, obwohl sie katholisch waren.
In der Türkei besuchten wir eine Kirche, in der der Heilige Nikolaus von Myra, auch bekannt als Nikolaus der Wundertäter, gedient hatte. Die erste Kirche war aus Holz und brannte nieder. Anschließend wurde eine Kirche aus Stein errichtet. Mit der Invasion der Eroberer wurde sie geschändet: Den Gesichtern wurden die Augen ausgestochen und die Fresken wurden zerkratzt. Heute werden dort orthodoxe Ikonen verkauft. Daneben steht ein Denkmal für den Heiligen Nikolaus. Die Behörden erlauben jedoch nicht, die Kirche zu restaurieren und dort Gottesdienste abzuhalten. Ihr entweihtes Aussehen hinterlässt einen bedrückenden Eindruck.
In diesem Land gibt es viele Muslime. Dazu gehören das Hotelpersonal und die Reiseleiter. Wenn ein orthodoxer Pilger in die Türkei kommt, wird er auf die eine oder andere Weise mit ihnen in Kontakt kommen.
Ist es erlaubt, an der Klagemauer zu weinen?
Unsere Gesellschaft wird immer multikonfessioneller. Als Orthodoxe haben wir kein striktes Verbot, mit Andersgläubigen zu kommunizieren. Es besteht jedoch ein Verbot, mit ihnen zu beten oder an ihren Gottesdiensten und Ritualen teilzunehmen. Besuche christlicher Kirchen anderer Konfessionen, Moscheen oder Synagogen sind hingegen erlaubt. Christliche Heiligtümer sind über die ganze Welt verstreut. Einige von ihnen befinden sich heute in katholischen Kirchen, zum Beispiel die Reliquien des Heiligen Nikolaus, des Heiligen Nikolaos von Myra und der Heiligen Apostel. Dort kann man beten, jedoch nicht gemeinsam mit Katholiken.
Auf keinen Fall darf man gemeinsam mit ihnen beten oder an ihren Sakramenten teilnehmen, denn die Kanones verbieten uns dies. Die Teilnahme an einer römisch-katholischen Messe zu Bildungszwecken ist zulässig, doch nur, wenn man genau versteht, was für einen orthodoxen Christen zulässig ist und was nicht.
In Jerusalem befinden sich einige unserer Heiligtümer auf dem Gelände muslimischer Gebetsstätten, darunter der Stein der Himmelfahrt des Herrn. Das Grab des heiligen Königs und Psalmisten David befindet sich auf dem Gelände einer jüdischen Synagoge. Die Mauer des alttestamentarischen Tempels in Jerusalem, die sogenannte „Klagemauer” steht unter der Kontrolle der Juden. Der Zugang zu ihr ist nur unter Einhaltung bestimmter jüdischer Bräuche möglich. Beispielsweise müssen Männer ihren Kopf bedecken. Dies ist auch für uns eine heilige Stätte und ich denke, es ist keine Sünde, sich den Kopf zu bedecken, wenn man sich ihr nähert, um niemanden zu verärgern.
Die Juden betrachten die Klagemauer als den wichtigsten Ort des Gebets. Christen hingegen leben im Licht der Lehre Christi, der sagte: „Es kommt die Zeit, da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem anbeten werdet …“ (Joh 4,21–22 ). Aber es kommt die Zeit, und sie ist schon da, in der die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden; denn solche Anbeter sucht der Vater für sich.“ Jesus sagt zu ihr: „Glaub mir, dass die Zeit kommt, in der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Doch die Zeit kommt, und sie ist schon da, in der die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden, denn solche Anbeter sucht der Vater für sich.“ (Joh. 4:21-23).
Die Juden weinen dort um den zerstörten Tempel in Jerusalem, von dem heute nur noch diese Mauer steht. Dieser wurde im Jahr 70 n. Chr. von den Römern zerstört. Zur gleichen Zeit wurde auch die Stadt Jerusalem zerstört und die Juden wurden in alle Welt zerstreut. Das ist eine nationale Tragödie der Juden. Nichtjüdische Christen haben keinen Grund, an dieser Mauer zu weinen. Selbstverständlich ist es auch nicht nötig, Zettel mit Wünschen an die Klagemauer zu schreiben. Das ist in unseren Augen reiner Heidentum.
Ein Neuling, der sich noch nicht einmal in seinem eigenen Glauben gut auskennt, sollte keine heidnischen Tempel, wie beispielsweise buddhistische oder hinduistische, besuchen. In diesen befinden sich Götzenstatuen und es werden heidnische Rituale durchgeführt. Selbst aus Interesse ist es spirituell gefährlich, dorthin zu gehen.
Ist es für einen Christen eine Sünde, den Koran zu studieren?
Aus reinem Interesse würde ich keine religiösen Bücher fremder Traditionen lesen. Oft haben wir nicht einmal Zeit, die Heilige Schrift oder die Werke der Heiligen Väter zu lesen. Wenn ich Freizeit hätte, würde ich sie mit dem Lesen orthodoxer Literatur verbringen. Priester machen sich mit den Werken westlicher christlicher Theologen wie Clive Staples Lewis oder Michael Kunzler zu Bildungszwecken vertraut. Das ist jedoch eher Literatur für Spezialisten auf dem einen oder anderen Gebiet der Theologie.
Aus Höflichkeit eine römisch-katholische Statue oder ein Kreuz anzunehmen, wenn Ihnen jemand diese schenkt, ist keine Sünde. Sie können solche Gegenstände später in eine katholische Kirche bringen und dort lassen. Wenn Sie sie zu Hause aufbewahren möchten, ist das ebenfalls möglich. In unseren Kirchen gibt es schließlich auch viele nicht kanonische Darstellungen, insbesondere auf Fresken aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die unter dem Einfluss der westlichen Tradition entstanden sind.
Wenn ich mich in einem anderen Land befände, würde ich keine Speisen probieren, die mit fremden religiösen Bräuchen verbunden sind – zum Beispiel Matzen in Israel – und ich würde keine religiösen Gegenstände in die Hand nehmen, die beispielsweise in israelischen Bussen verteilt werden, wie jüdische Gebete für die Reise. Dabei muss man sich kulturell korrekt verhalten, um niemanden zu beleidigen. Selbst wenn sich jemand uns gegenüber respektlos verhält, ist das sein Problem und nicht unseres. Man sollte nicht mit gleicher Münze zurückzahlen.
Meiden Sie radikale Muslime und … Orthodoxe.
Mit allen in Frieden zu leben und bei Konflikten als Friedensstifter zu fungieren, ist die direkte Pflicht der Christen. Das ist unsere Mission. Ich würde mich selbstverständlich nicht mit radikalen Menschen abgeben, egal, ob es sich um Orthodoxe, römische Katholiken oder Muslime handelt. Solche Menschen sind in der Regel sehr aggressiv, und ihre Ansichten sind aufdringlich. Sie verzerren ihre Religion, vereinfachen alles und teilen die Welt in „schwarz“ und „weiß“, „böse“ und „gut“. Zwei wirklich gläubige Menschen, die verschiedenen Religionen angehören, werden hingegen versuchen, den Frieden miteinander zu bewahren. Das Kennzeichen eines wirklich gläubigen Menschen ist seine hohe Moral.
Sollte man mit Andersgläubigen über Gott sprechen?
Man kann antworten, wenn sie fragen. Doch normalerweise passiert das nicht, denn ein gläubiger Mensch, der einer anderen Konfession angehört, interessiert sich wenig für andere Religionen. Er hat sich längst für seine Überzeugungen entschieden. Man kann ihm nicht seine eigenen Überzeugungen aufzwingen. Das wirkt manchmal sehr unhöflich: Im Grunde genommen sagt man einem Katholiken oder Protestanten, dass Katholiken oder Protestanten schlecht sind, weil sie Gott und die Mutter Gottes auf diese oder jene Weise verehren, und dass orthodoxe Christen gut sind.
Wenn ein muslimischer Prinz Sie nach Gott fragt …
Mit mir studierten Iraner am Institut. Zwei von ihnen waren tief religiöse Muslime. In der Regel suchen sie selbst keinen Kontakt zu Vertretern anderer Konfessionen. Außer ihnen studierte mit mir ein Prinz aus Uganda, der ebenfalls Muslim war. Er war der Einzige, der sich für die Orthodoxie interessierte und mir Fragen zum Glauben stellte. Es zeigte sich, dass es für einen Muslim sehr schwer ist, unser Dogma der Dreifaltigkeit zu verstehen. Wie kann drei gleich eins sein? Ich antwortete dem Prinzen wie folgt: „Kann Gott jemals vollständig verstanden werden?” Wenn alles vollständig verständlich wäre, wäre es nicht mehr Gott.“
Darf man Andersgläubige zu ihren Feiertagen beglückwünschen?
Wenn es für sie wichtig ist und Sie mit ihnen in Kontakt stehen, ist das keine Sünde. Tatsächlich gibt es in jeder Religion nur wenige tiefgläubige Menschen, sodass Ihre Bemühungen für manche Menschen unnötig erscheinen.
Ich bin in der Siedlung Jakowlewka tätig, aus der die Stadt Druzhkivka hervorgegangen ist. Seit jeher leben hier Protestanten. Bis heute gibt es in unserer Region sieben verschiedene protestantische Kirchen. Ich habe kein Verlangen, mit ihnen zu kommunizieren, da wir keine Berührungspunkte haben und mir außerdem die Zeit dafür fehlt. Nur einmal bin ich einem protestantischen Pastor begegnet und habe mich mit ihm unterhalten. Er hatte offenbar irgendwo studiert und fragte mich: „An welchem Glaubensbekenntnis halten Sie fest?” Das heißt, er hat zumindest eine Vorstellung davon, was ein Glaubensbekenntnis ist. Über die orthodoxe Kirche wissen sie jedoch sehr wenig.
Wenn man mit einem Vertreter einer anderen Glaubensrichtung zu tun hat, ist es wichtig, ihm mit Respekt und Wohlwollen zu begegnen und heikle Themen zu vermeiden. Um sich jedoch auf Diskussionen über Gott einzulassen, muss man die Grundlagen des eigenen Glaubens gut kennen.
Die Menschen lernen das orthodoxe Christentum durch uns kennen!
Mit jedem Menschen kann man kommunizieren. Dabei muss man nicht unbedingt theologische Themen behandeln. Jeder Mensch hat seine eigenen Glaubenserfahrungen. Diese darf man auf keinen Fall mit der eigenen vergleichen oder die eigene aufzwingen.
Das orthodoxe Christentum besteht nicht nur aus Liturgie, Gottesdienstbüchern und den Werken der Heiligen Väter. Es ist eine Weltanschauung und eine Sichtweise auf die Menschen. Wenn ein Andersgläubiger uns beobachtet, wird er so oder so mit dem Orthodoxen Christentum in Berührung kommen.

Manchmal schlagen Protestanten oder römisch-Katholiken vor, gemeinsam für etwas zu beten. Ein orthodoxer Christ darf jedoch nicht mit ihnen beten. Man kann das Thema „Gebet” ansprechen, fragen, wie er betet, erzählen, wie wir beten, und dann sagen: „Wie können wir das gemeinsam tun, wenn ich so bete und das Gebet so verstehe und Sie ganz anders?” Vielleicht versteht er das selbst. Schließlich bieten uns Muslime auch keinen Teppich an, damit wir uns in Richtung Mekka verbeugen können.
Um religiöse Fragen richtig zu beantworten, muss ein orthodoxer Mensch neben seinem Glauben auch theologisches Wissen besitzen. Wir müssen in der Lage sein, unsere Überzeugungen zu begründen und Fragen zu unserem Glauben zu beantworten, wenn wir danach gefragt werden.
Wenn ein Nichtchrist in einem Gespräch etwas anspricht, das er in unserem Glauben nicht akzeptiert – zum Beispiel die Verehrung der Gottesmutter –, dann ist mir das unangenehm und ich sage: „Lassen wir das Thema lieber!“ Es steht uns nicht zu, ihn zu verurteilen. Es gibt einen Richter, der über alle richten wird. Ich bin kein fanatischer Orthodoxer, der allen Nicht-Orthodoxen entgegenruft: „Ihr seid Sünder und werdet nicht gerettet werden!” In der Regel überzeugt das niemanden, sondern verbittert die Menschen und stößt sie aufgrund solcher „Prediger“ sogar von der Kirche ab – selbst diejenigen, die sich für die orthodoxie interessieren. In Glaubensfragen muss man den Aposteln des Herrn und den Märtyrern folgen und seinen Glauben notfalls bis zum Tod verteidigen. Allerdings darf man ihn niemandem aufzwingen.
Nicht für jeden ist der Umgang mit Andersgläubigen spirituell förderlich. Denn oft suchen wir sogar im Priester unserer Gemeinde oder in den Glaubensbrüdern, mit denen wir gemeinsam im Gottesdienst beten, nach Negativem, weil wir selbst sehr viel Negatives in uns tragen. Sobald etwas nicht stimmt, verurteilen wir schnell: „Der ist so! Der hat das falsch gemacht!“ Das Gute in den Menschen nehmen wir nicht wahr. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn wir denselben Ansatz gegenüber Andersgläubigen anwenden würden …
Rechtzeitig von den „Barrikaden“ herunterkommen!
Tatsächlich gibt es heute nur sehr wenige Menschen, die sich „an die ideologische Front“ begeben und ihren Glauben gegenüber Vertretern anderer Religionen verteidigen. In der Regel sind es professionelle Theologen. Das heißt, der Kampf gegen Häresien und Irrlehren, der sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte zieht, ist im Wesentlichen bereits abgeschlossen und neue Häresien sind meist Wiederholungen oder Neuauflagen alter Lehren. In unserer Kirche gibt es festgelegte Regeln, Kanones, symbolische Bücher usw. Allerdings ist Apologetik eine Sache für Menschen mit starkem Geist. Ich kannte einen Protestanten, der in eine Bierkneipe ging, um seine ehemaligen Freunde, die sich vom Protestantismus und überhaupt vom Glauben an Gott abgewandt hatten, zur Umkehr zu bewegen. Er blieb dort.
Wenn wir in eine Auseinandersetzung gehen, um anderen etwas zu beweisen, auf die Barrikaden steigen und von dort aus eine überzeugende Rede halten wollen, dann ist das der Geist des Antichristen und nicht der Geist Christi. Ohne den Geist Christi, also die Liebe zum Nächsten, sollte man besser nicht über den Glauben streiten. Wenn die Gedanken „Ich werde sie zum wahren Glauben bekehren! Ich werde sie retten!” aufkommen, dann ist das meist ein Zeichen, dass der Böse versucht, unseren Hochmut auszunutzen. Wenn wir nicht rechtzeitig innehalten, merken wir gar nicht, wie wir „auf den Barrikaden“ landen. Von dort herunterzukommen ist sehr schwer, denn es ist schließlich eine so hohe Position! In der Regel endet das nicht mit der Bekehrung von jemandem, sondern mit Verzweiflung, Niedergeschlagenheit, Unverständnis und Einsamkeit.
Es ist sehr wichtig, mit welcher Einstellung wir auf einen Menschen zugehen: mit Liebe oder mit Feindseligkeit. Erkennen wir bei einem Andersgläubigen spirituellen Hunger und die Suche nach der Wahrheit, können wir ihm aus Liebe unsere Erfahrungen weitergeben. Wenn ein Mensch jedoch fest in seinem Glauben ist, sollte man nicht versuchen, ihn zum orthodoxen Glauben zu bekehren oder deswegen mit ihm zu streiten.
Zunächst wird er unser Leben im Glauben betrachten und erst dann vielleicht auf unsere Worte hören. Wichtig ist, alles, was wir tun, mit Liebe zu beginnen und zu beenden.
(Protopriester Vadim Morozov Übersetzt aus dem Russischen von deutsch-orthodox.de)