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Die sieben Leidenschaften der Seele.

Leidenschaften der Seele.

So wie sich der Mensch durch die Erfüllung der Gebote Gottes im Sittlich-Guten üben und durch häufige Wiederholung gute Gewohnheiten erwerben kann, die sich durch die Gnade Gottes festigen und zu Charakterzügen und Tugenden werden, so kann er auch, verführt durch die Dämonen, durch das Übertreten der Gebote sündigen. Durch Wiederholungen kann er sich immer mehr in die Sünde verstricken und in immer größere Abhängigkeit geraten. Dadurch wird der Wille geschwächt und die Umkehr erschwert. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die durch den Sündenfall der Ureltern in Unordnung geratenen natürlichen Triebe des Menschen nicht mehr kontrolliert werden können und sich nicht mehr entsprechend den Geboten Gottes steuern und beherrschen lassen. Durch diese Verhärtung in der sittlich schlechten Gewohnheit gerät die Seele in einen Zustand sittlich-geistlicher Erkrankung, der als Leidenschaft (Pathos) oder Laster bezeichnet wird. Manchmal kann ein Mensch so sehr einem Automatismus der Sünde unterliegen, dass die Tat nicht mehr aus freiem Entschluss erfolgt. Wenn der Sünder willentlich in diesen Zustand des Lasters geraten ist und sich nicht durch Reue und Buße davon befreien will, bleibt die sittliche Verantwortung und Schuld bestehen. Doch auch in schweren Fällen der Knechtschaft durch das Laster sind Befreiung und Heilung durch Gottes Gnade möglich. Zahlreiche Beispiele aus der Heiligen Schrift und den Heiligenviten können selbst dem größten Sünder Mut und Hoffnung zur Umkehr geben. Nicht alle Sünden führen in gleicher Weise zur Bildung von schlechten Gewohnheiten, sondern vor allem jene, die in besonderer Weise mit ungeordneter Selbstliebe sowie ungezügelten Trieben nach Genuss, Macht und Erwerb verbunden sind. Aufgrund dessen stellten die Kirchenväter sogenannte Lasterkataloge zusammen. Spätestens seit Evagnus Ponticus (346–399) setzte sich die Achtlasterlehre durch, die durch Johannes Cassian (ca. 360–435) auch im Westen Verbreitung fand. Dort entwickelte die Scholastik später die Reihe der sieben Todsünden. Die klassische Achtlasterlehre zählt folgende Sünden auf: Völlerei, Unzucht, Geiz, Zorn, Traurigkeit, Trägheit, Hoffart und Stolz. Da diese Sünden nicht nur zu schwer abzulegenden Gewohnheiten führen, sondern meist auch eine Reihe weiterer Sünden nach sich ziehen, werden sie auch Quell- oder Hauptsünden genannt. Diese Zusammenhänge sollen durch die nachfolgende Beschreibung der einzelnen Laster aufgedeckt werden.

1. Die Völlerei

Dieses Laster entsteht aus einem unbeherrschten Nahrungstrieb. Es gibt zwei Formen der Übertreibung: die Vielfresserei und die Feinschmeckerei. Bei der Feinschmeckerei geht es weniger um die Menge als um raffinierte Zubereitung und teure Delikatessen. Als verwandtes Laster kann man der Völlerei die Trunksucht beigesellen, die im Lasterkatalog nicht eigens erwähnt wird. Besonders schlimm ist, dass durch den
übermäßige Alkoholkonsum der Mensch seines vernünftigen Denk- und Urteilsvermögens beraubt wird und in diesem Zustand die fürchterlichsten Dinge tun kann. Durch Völlerei und Trunksucht schadet der Mensch seiner
Er schadet seiner Gesundheit, einer Gabe Gottes, die er sorgfältig erhalten soll. Die Ausgaben für überflüssige oder teure Speisen und Getränke könnten für Almosen oder andere sinnvolle Zwecke verwendet werden. Durch Fasten, Gebet und die Tugend der Maßhaltung kann man dieses Laster bekämpfen.

2. Die Unzucht

Ursache dieses Lasters ist der Geschlechtstrieb, dessen Beherrschung besonders in den Jugendjahren sehr schwerfallen kann. Die strenge Haltung des Evangeliums und der orthodoxen Kirche, die die Erfüllung dieses Triebes nur in der Ehe erlauben, ist deshalb keine Engherzigkeit und Prüderie, sondern eine weise und menschenliebende Erkenntnis: Echte Liebe ist von Dauer und bedarf eines von Gott gesegneten Rahmens, in dem sie sich voll entfalten kann. Eine Triebbefriedigung außerhalb dieses gottgewollten Rahmens mag das Lustbedürfnis zwar kurzfristig stillen, doch kann der Mensch so kein dauerhaftes Glück finden. Er jagt stattdessen von Abenteuer zu Abenteuer. Oft entstehen daraus noch größere Sünden wie Ehebruch, Abtreibung unerwünschter Kinder oder Eifersuchtsszenen. Dass das Laster der Unzucht sehr schlimme gesundheitliche Folgen haben kann, war bereits vor der Ausbreitung von AIDS bekannt. Auf psychischer Ebene kann es zu schweren Neurosen führen. Die Versuchungen der Unzucht werden durch Gebet, Fasten, die Tugenden der Keuschheit und Maßhaltung sowie durch freiwillige Opfer und die Meidung aller Gelegenheiten und Reizungen, die zur Sünde führen könnten, bekämpft.

3. Der Geiz

Geiz oder Geldliebe sind das Ergebnis eines unbeherrschten Erwerbs- und Besitztriebes. Nach den Worten des Apostels Paulus ist sie „die Wurzel aller Übel; so manche, die sich ihr hingaben, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich selbst viel Leid bereitet“ (1 Tim 6,10). Geizige Menschen vertrauen nicht auf Gottes gütige Fürsorge, sondern glauben an die Macht ihres Geldes, das dadurch zu einem Götzen wird. In extremen Fällen kann der Geiz so groß sein, dass sich der Mensch sogar lebenswichtige Nahrung und andere Güter vorenthält. Geizige sündigen auch gegen die Nächstenliebe, denn mit ihrem Überfluss könnten sie die Not der Armen lindern. Gerade fromme Menschen, die sonst ein gottgefälliges Leben führen, werden nicht selten von diesem Dämon versucht und besiegt. Am besten bekämpft man den Geiz durch Almosengeben, Nächstenliebe und eine großzügige Haltung in der Geldverwaltung, die jedoch nicht in Verschwendung ausarten darf. Auch der Gedanke an Gottes liebevolle Vorsehung ist eine wirksame Waffe gegen dieses Laster.

4. Der Zorn

Zorn ist eine Gefühlserregung, die entweder durch eine Beeinträchtigung unseres Selbsterhaltungstriebes oder durch die Nichterfüllung eines Machtanspruchs ausgelöst wird. Wenn dieser Affekt nicht durch den Verstand und verzeihende Liebe beherrscht wird, können die Folgen von Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten bis hin zu dramatischsten Formen wie Todschlag und Krieg reichen. Zornige sündigen vor allem gegen das Gebot der Nächstenliebe. Zwar kann der Zorn als Aufflammen einer Gefühlserregung sehr heftig und zerstörerisch sein, doch ist er meist von relativ kurzer Dauer. Er kann sich jedoch verlängern und die Formen von Groll, Nachtraglichkeit, Gehässigkeit und Hass annehmen, wodurch er die Beziehungen zwischen Menschen vergiftet. Den Zorn und seine Ableger bekämpfen wir durch die Tugenden Sanftmut, Geduld, Nächstenliebe und Feindesliebe sowie durch Verzeihen gegenüber denen, die uns – vermeintlich oder wirklich – Unrecht getan haben. Ein sehr gutes Mittel ist das Gebet für die Personen, die uns Schwierigkeiten bereiten, sowie unsere Bereitschaft, ihnen zu verzeihen. Dadurch wird unsere Seele mit Frieden erfüllt – selbst wenn die betreffenden Personen noch nicht bereit sind, sich mit uns zu versöhnen.

5. Die Verzagtheit (Niedergeschlagenheit)

Hierbei handelt es sich nicht um die „gottgewollte Betrübnis, die zur Umkehr zum Heil führt und nicht bereut wird“, sondern um die, von der der Apostel sagt: „Die Betrübnis der Welt dagegen bewirkt den Tod“ (2 Kor 7,10). Diese Art von Trauer ist entweder das Ergebnis von Kränkungen, Unrecht oder äußeren Schwierigkeiten, die unsere Eigenliebe verletzen, oder es handelt sich um Zustände der Melancholie, in die Dämonen die Seele tauchen, sodass sie an der Liebe Gottes, an Gott selbst und an der eigenen Rettung zweifelt. Diese Zustände der totalen Verlassenheit können so stark sein, dass der Mensch verzweifelt und seinem Leben sogar freiwillig ein Ende setzt. Besonders sensible und melancholisch veranlagte Menschen neigen eher zu dieser Sünde als unverbesserliche Optimisten.
Diese Art der Trauer muss wirksam bekämpft werden: durch Aussprache mit dem geistlichen Vater, durch Gebet, Lektüre der Heiligen Schrift und der Kirchenväter, Singen der Osterhymnen, den Gedanken an die Auferstehung und den Triumph Christi sowie den Umgang mit tiefgläubigen Menschen, die die Freude Gottes ausstrahlen.

6. Die Trägheit

Wenn er nicht wachsam im Gebet und im Bewusstsein der Gegenwart Gottes verharrt, kann die Trägheit den Menschen auf allen Ebenen erfassen. Er ist dann wie gelähmt und empfindet Widerwillen gegen jede Anstrengung. Besonders schlimm ist die geistliche Trägheit, die den Menschen mit Überdruss am Gebet und am religiösen Leben allgemein erfüllt. Die geistliche Lustlosigkeit lähmt den Aufschwung aus der Dumpfheit. Ursachen der Trägheit können der Einfluss von Dämonen – vor allem des „Mittagsdämons“ (vgl. Ps 90,6) –, der Hang des Menschen zum Genießen und zur Bequemlichkeit, körperliche Ermüdung, Nachlässigkeit im Gebet und das Sich-Verschließen vor Gott sein. Bekämpft wird die Trägheit durch Gebet, Aussprache mit dem geistlichen Vater, Lektüre der Heiligen Schrift und der Kirchenväter sowie physische und intellektuelle Arbeit. Mönche und Menschen, die allein leben, sind dieser Gefahr besonders ausgesetzt. Die Grenzen zwischen Trägheit und Trauer sind oft fließend.

7. Die Hoffart

Die Hoffart schmeichelt der Eigenliebe und der Ruhmsucht des Menschen, der nicht den Ruhm Gottes, sondern den eigenen Ruhm und das Lob der Menschen sucht. Der Hochmütige kleidet sich teuer und auffällig und umgibt sich mit Luxus, um aufzufallen und Aufmerksamkeit zu erregen. Dafür verschwendet er viel Geld, das für wichtigere Aufgaben und Wohltätigkeit verwendet werden könnte. Die gesamte Tätigkeit des Hoffärtigen ist auf einen äußeren Effekt sowie Lob und Anerkennung ausgerichtet. Dadurch verlieren seine guten Werke ihren sittlichen Wert. Der ganze äußere Aufwand ist Ausdruck der inneren Überheblichkeit. Oft lässt Gott zu, dass Überhebliche in Sünden fallen, die ihrem Ruf schaden, damit sie durch die Demütigung zur Reue und zu echter Demut finden. Die Eitelkeit macht auch vor den Kirchentüren nicht halt. Viele sonst tugendhafte und fromme Christen nutzen den Kirchgang, um ihre Garderobe und ihren Schmuck zur Schau zu stellen. Sie machen Schenkungen, um sich mit goldenen Lettern auf der Wohltätertafel zu verewigen, und engagieren sich im Gemeindeleben, um Lob und Anerkennung zu ernten. Auch der Klerus ist bekanntlich nicht immer gefeit vor den Einflüssen des Dämons der Eitelkeit. Diese kann sich beispielsweise in prunkvollen Gewändern, pompösen Titeln, Heuchelei sowie Empfänglichkeit für Lobhudelei und Schmeichelei äußern. Die Hoffart lässt sich bekämpfen durch Einfachheit in der Kleidung und im gesamten Lebensstil sowie durch den Gedanken an das Gericht Gottes, bei dem all unsere Sünden bekannt sind und offenbart werden. Der Gedanke an unsere Sünden hilft uns, das entgegengebrachte Lob nicht ernst zu nehmen und uns Gott zuzuwenden. Auch der Gedanke an die Gebote Gottes, an die Seligpreisungen und an unser klägliches Versagen, wenn wir unser Tun nach diesen Maßstäben messen, bewahrt uns vor eitlem Selbstruhm. Dasselbe gilt für die Lektüre der Bibel und der Heiligenleben, in denen wir uns spiegeln können und viele Runzeln und Hässlichkeiten an uns entdecken, die uns zu Bescheidenheit und Demut führen.

Der Stolz (Vater aller Sünden) 

Der Stolz oder Hochmut ist die Ursünde, durch die Engel und Menschen gefallen sind (vgl. Sir 10,12–13). Er ist ein Streben nach Höhe, die allein Gott gebührt, ein übersteigerter Egoismus und eine Du-Losigkeit. Er äußert sich auf verschiedene Weise: als anmaßende Selbstüberhebung, Selbstgefälligkeit, Rechthaberei, dünkelhafte Eitelkeit, Ehrgeiz, Streben nach Macht, Besitz und Ehre, eitle Prahlerei, Sich-zur-Schau-Stellen, verwegene Kühnheit und Vermessenheit. Der Stolze verachtet Gott und die Mitmenschen und macht sich so zum eigenen Götzen. Er ist neidisch auf das Glück anderer und anerkennt ihre Leistungen nicht. Um seiner Herrschsucht Genüge zu leisten und seine Ziele zu erreichen, scheut der Stolze auch vor Verbrechen nicht zurück. Anstatt die Vergöttlichung durch die Gnade des Heiligen Geistes zu erstreben, sucht er die Selbstverherrlichung und Selbstentfaltung. Somit ist der Stolz als „Geist dieser Welt“ (vgl. 1 Kor 2,12; 1 Joh 2,16) das genaue Gegenteil des Geistes der Demut und der Liebe, den Christus verkündet hat. Eine besondere Form der Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit ist der Pharisäismus, der seinen Namen dem bekannten Gleichnis aus dem Lukasevangelium (Lk 18,10–14) verdankt. Gerade Menschen mit einem sittlich hochstehenden Lebenswandel sind dieser Versuchung ausgesetzt, wenn sie ihre Tugenden nicht dankbar und bescheiden Gottes Gnade und Hilfe zuschreiben, sondern sich nicht mit den eigenen Sünden und Fehlern beschäftigen. Eine andere Form des Stolzes besteht in der Selbstüberschätzung der Möglichkeiten unseres Ichs und seiner Grenzen. Im geistlichen Leben äußert sich dies darin, dass wir uns aus Eifer ohne den Segen des geistlichen Vaters Askese und geistliche Kämpfe zumuten, die unsere Kräfte übersteigen. Diese sind deshalb zum Scheitern verurteilt oder führen in die Irre. Auf der weltlichen Ebene lassen wir Verpflichtungen und Arbeiten auf uns zukommen, die zu Hektik, Stress und gar zum totalen Zusammenbruch führen. Dies liegt daran, dass wir unsere physischen Grenzen nicht sehen wollen, im richtigen Moment nicht „nein” sagen können oder uns für unersetzlich halten. Der Kampf gegen den Stolz ist ein harter Kampf, da er ein Kampf gegen unseren Egoismus ist. Auf dem Weg zur echten Demut helfen uns Gebet, Fasten, das bereitwillige Dienen und das Verrichten demütigender Arbeiten für andere sowie der Gedanke an das Gericht, an die Größe und Güte Gottes und an unsere Kleinheit und Sündhaftigkeit. Unsere Talente und guten Taten dürfen wir nicht uns selbst zuschreiben, sondern müssen sie dankbar als Gnade und Geschenk Gottes anerkennen. Durch die häufige Beichte haben wir die Möglichkeit, uns unserer Sünden zu stellen, uns vor Gott zu demütigen und ihn um Verzeihung zu bitten. Dadurch und durch den Empfang der heiligen Eucharistie schenkt Gott uns die Gnade, gegen dieses schlimmste aller Laster und auch gegen die anderen erfolgreich zu kämpfen.

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