Die Verehrung der Ikonen

Betritt ein Mensch ein orthodoxes Gotteshaus, so ist einer der ersten Eindrücke die große Zahl der Bilder des Herrn, der Gottesmutter und der Heiligen, die uns gleichsam von allen Seiten umgeben. Diese von Künstlern geschaffenen Bilder heißen Ikonen. Im östlichen Teil der Kirche erhebt sich die Bilderwand, auch Ikonostase genannt, die den Blick des Besuchers gewöhnlich sofort fesselt. Rechts und links, auf den Säulen der Kirche und an der Westwand gibt es überall eine Vielzahl von Ikonen. Die Wände der Kirche sind oft mit Fresken verziert, die ebenfalls Ikonen sind.
Jeder orthodoxe Christ hat zu Hause Ikonen, vor denen er betet und die sein Heim heiligen. Manche haben alte, auf einem Holzbrett gemalte Ikonen, andere solche, die aus Papier sind und auf einem Brett aufgeklebt wurden. Aber das Wesentliche ändert sich durch diese Unterschiede nicht. Das Wort „Ikone” ist griechischen Ursprungs. Es bedeutet „Bild” oder „Porträt”. In Byzanz, von wo aus der orthodoxe Glaube in die Rus’ gelangte, bezeichnete man damit jede Darstellung des Erlösers, der Gottesmutter oder der Heiligen, sogar Skulpturen.
Warum sagen wir „heilige Ikone” oder „heiliges Bild”? Ikonen werden in der Kirche geweiht und erhalten durch diese Weihe die Gnade des Heiligen Geistes. Es gibt eine große Zahl wundertätiger Ikonen. Durch sie geschehen durch Gottes Gnade viele Wunder und die Menschen, die sie verehren, erhalten Trost und Hilfe. Wenn wir vor einer Ikone beten, müssen wir verstehen, dass die Ikone selbst nicht Gott ist, sondern lediglich ein Abbild Gottes oder eines Heiligen. Deshalb beten wir nicht zur Ikone, sondern zu der Person, die auf ihr dargestellt ist. Den Worten der Heiligen Väter und Kirchenlehrer zufolge geht „die Ehre, die wir dem Abbild darbringen, auf das Urbild selbst über”. Dies bedeutet, dass unsere Verehrung Gott selbst gilt, wenn wir ein Bild Gottes verehren.
Wann sind die Ikonen entstanden?
In der Kirche des Alten Testaments war die Darstellung Gottes verboten.
Das von Gott erwählte Volk lebte unter Heiden, die Götzen und Bilder furchtbarer Götter anbeteten. Sie dienten diesen “Göttern” und brachten ihnen Opfer dar, darunter auch Menschenopfer. Der Herr gebot Seinem Volk jedoch durch den Propheten Mose, sich kein Abbild zu schaffen, also keinen Götzen, und es nicht wie Gott anzubeten. In jener Zeit hatte noch niemand Gott gesehen. Jesus Christus war noch nicht in die Welt gekommen. Deshalb wäre jede Darstellung Gottes der bloßen Phantasie entsprungen und irrig gewesen.
Erst nach der Menschwerdung des Herrn, also nachdem der Erlöser einen menschlichen Leib angenommen hatte, wurde eine solche Darstellung möglich.
Der kirchlichen Überlieferung zufolge war die erste Ikone das „nicht von Menschenhand geschaffene Bildnis des Erlösers“, das ohne Zutun menschlicher Hände entstanden war.
Dies geschah während des irdischen Lebens des Erlösers. Der Herrscher der Stadt Edessa, Fürst Abgar, war schwer erkrankt. Als Er von den zahlreichen Wundern und Heilungen hörte, die Jesus vollbrachte, schickte er einen Maler, damit dieser Jesus zeichne. Doch vom Gesicht des Herrn ging ein solches Leuchten aus, dass der Maler Ihn nicht malen konnte. Da trocknete der Herr Sein Gesicht mit einem Tuch ab, auf dem sich Sein göttliches Antlitz abbildete. Dieses Tuch schickte Er dem Fürsten. Als Abgar das Bild erhielt, wurde er von seiner Krankheit geheilt.
Die ersten Ikonen der Gottesmutter wurden noch zu ihren Lebzeiten vom Apostel und Evangelisten Lukas gemalt. Der kirchlichen Überlieferung nach sagte die Allheilige Gottesgebärerin, als sie ihre Darstellung sah: „Die Gnade des von mir Geborenen und mein Erbarmen sollen diese Bilder begleiten.”
So entstanden die ersten Ikonen. Danach wurde die heilige Kirche im Laufe von drei Jahrhunderten fast ununterbrochen verfolgt, zuerst durch die Juden, die nicht zum Glauben gefunden hatten, dann durch die Heiden. Sie verfolgten, folterten und töteten die Christen um des Namens des Herrn willen. Deshalb war es sehr gefährlich, heilige Bilder offen bei sich aufzubewahren. Die Gottesdienste wurden in unterirdischen Räumen, den sogenannten Katakomben, gefeiert. Besonders weitläufige Katakomben befanden sich unter der Stadt Rom. An ihren Wänden sind die ältesten Ikonen des Erlösers und der Gottesmutter erhalten geblieben. Jesus Christus wurde oft symbolisch in Form eines Fisches oder Lammes dargestellt.
Auf Griechisch heißt Fisch “ICHTHYS”. Die Buchstaben dieses Wortes stehen für die Anfangsbuchstaben der Wörter „Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser”. Daher war der Fisch als Symbol für Christus besonders verbreitet. Kleine Fischfiguren aus Metall, Stein oder Perlmutt wurden oft am Hals getragen, so wie wir heute das Taufkreuz tragen. Manchmal wurde auch das an den Herrn gerichtete Wort „Rette” darauf geschrieben, so wie man heute auf Taufkreuzen die Worte „Rette und bewahre” schreibt.
Es sind auch Darstellungen der Apostel, Märtyrer, Heiligen und Engel erhalten geblieben. Die Verfolgung der Kirche hörte zu Beginn des IV. Jahrhunderts unter dem römischen Kaiser Konstantin auf, der selbst Christ wurde. Kirchen wurden gebaut. Ihre Innenausstattung wurde immer reicher und mannigfaltiger. Damals begann man, die Kirchen mit großen Fresken zu schmücken, die die Geschichte des Alten und Neuen Testaments darstellten. Diese Bilder waren für alle, sogar für Analphabeten, anschaulich und verständlich. Der Heilige Neilos vom Sinai (5. Jahrhundert), ein Schüler des Johannes Chrysostomos, schrieb über eine solche Ausstattung der Kirchen mit Ikonen: „Es soll die Hand des hervorragendsten Malers die Kirche mit Darstellungen des Alten und Neuen Testaments ausstatten, damit diejenigen, welche die Buchstaben nicht kennen und daher die heiligen Schriften nicht lesen können, bei der Betrachtung dieser Bilder der heldenhaften Taten derer gedenken, die Christus Gott wahrhaft gedient haben.”
Die Ikone ist jedoch nicht einfach eine Illustration der Erzählungen der Heiligen Schrift, sondern eine Form der Offenbarung und Erkenntnis Gottes. In sichtbaren Bildern und Symbolen spiegelt sie die geistige Welt wider und macht sie für die Betrachtung und das Verständnis zugänglich. Mit anderen Worten: Die Ikone erzählt uns von denselben Dingen wie das Evangelium und der Gottesdienst, aber sie spricht ihre eigene Sprache.
In der Kirche herrscht Harmonie, alles ist eng miteinander verbunden. Deshalb ist es nicht möglich, die Darstellung eines Festes oder eines Heiligen und die Bedeutung der Details zu verstehen, wenn man das Ereignis der Heilsgeschichte, zu dessen Ehren dieses Fest begangen wird, oder das Leben des Heiligen, dessen Gedächtnis die Kirche an diesem Tag feiert, nicht kennt. Wie im Gottesdienst ist auch jedes Detail einer Ikone mit Sinn erfüllt und hat seine besondere Bedeutung. Da die Ikone jedoch die geistige Realität darstellt, also das, wofür es in der sichtbaren Welt kein Ebenbild gibt, werden die geistigen Begriffe durch Symbole wiedergegeben. So bedeutet der Heiligenschein auf dem Haupt beispielsweise die Heiligkeit bzw. den Glanz der Herrlichkeit Gottes. Auf der Ikone des Erlösers wird im Heiligenschein immer ein Kreuz gemalt, in dem die Buchstaben „O WH” zu sehen sind. Dies ist ein griechisches Wort, das mit „Seiender” (der Ich bin) übersetzt wird und darauf hinweist, dass auf der Ikone Gott der Herr dargestellt ist. Daneben – zumeist an beiden Seiten – steht der abgekürzte Name „HC XC” – Jesus Christus.

((Книга о церкви: Лоргус,Дудко))

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