† Deutschsprachige russisch-orthodoxe Kirchengemeinde in Hamburg

Sünde

Für viele Menschen gehören Sünden nicht zum Alltagsleben der modernen Welt. Sie stellen in ihren Augen einen Anachronismus dar, sind nicht mehr zeitgemäß. Man will sich nicht vorschreiben lassen, wie man zu leben habe und schon gar nicht mit dem moralischen Zeigefinger gedroht bekommen. Nicht selten ruft die Erwähnung des Begriffes „Sünde“ sogar ein ironisches Lächeln hervor: „Von diesen moralin-sauren Vorschriften ist der heutige Mensch zum Glück frei“ scheint es auszudrücken und gleichzeitig schwingt dabei mit, dass die Sünde eine süße Verlockung ist und die Übertretung von Geboten dem persönlichen Genuss zu Gute kommt, ja dass gerade das Versuchen des Verbotenen besonders lustvoll ist. Brave Menschen kommen in den Himmel, böse überallhin…

In vielen Gebeten bitten wir um die Vergebung unserer Sünden, unserer Schuld. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ heißt es im Vaterunser, dem Gebet des Herrn. Folgende Fragen habe ich mir dazu oft gestellt: Welche Schuld habe ich denn schon groß auf mich geladen? Kann man überhaupt leben, ohne täglich eine der vielen „kleinen Sünden“ zu begehen? Reicht es nicht, sich an die Zehn Gebote zu halten? Wir alle machen doch Fehler. Ist das denn gleich „Sünde“? Das Leben fordert mir viel ab; warum soll ich mir das Leben noch schwerer machen, indem ich mich als Sünder begreife? Glaube soll doch aufbauen, die Auseinandersetzung mit meinen Sünden zieht mich aber runter.

Früher wusste ich nicht, was mit dem Begriff der Sünde überhaupt gemeint ist. Die kürzeste und zugleich umfassende Definition gab mir unser Priester: Sünde ist alles, was sich zwischen dich und Gott stellt und alles, was sich zwischen Dich und deine Mitmenschen stellt. Das erinnert stark an das Liebesgebot aus dem Neuen Testament „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus deinem ganzen Gemüte und aus allen deinen Kräften. Dies ist das erste und größte Gebot. Ein zweites aber ist diesem gleich: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt. 22, 37-39)

Sünde ist, was dich von deinem Nächsten entfernt. Das ist unendlich viel. Die Aufmerksamkeit, die du dem anderen verwehrst. Wenn du ihn nicht ernst nimmst. Wenn du ihm etwas unterstellst. Wenn du nicht aufrichtig zu ihm bist. Wenn du mehr auf deinen eigenen Vorteil bedacht bist. Wenn du ihn verletzt oder traurig machst. Wenn du ihn in eine Notlage versetzt. Wenn du ihm Hilfe verwehrst.
Viele dieser Sünden begeht man jeden Tag. Manchmal willentlich, manchmal unabsichtlich. Mir wurde klar, dass Sünde nicht die eine große, böse Missetat ist, sondern sehr alltäglich. Wir begehen täglich Sünden, die uns von unseren Mitmenschen entfernen. Wie ist das denn auch zu schaffen, immer aufrichtig zu sein und jedem gerecht zu werden? Es ist für uns nicht zu schaffen. Aber Gott ist alles möglich. Durch unser Bemühen und die Gnade Gottes haben wir die Chance, unser Leben zu verbessern.

Mag sie auch noch so alltäglich sein, jede Sünde wiegt schwer. Und es ist nicht an uns, den Grad ihrer Schwere zu bestimmen. Jede Sünde haben wir sehr ernst zu nehmen. Und es ist nicht unser Recht, sie uns selbst zu verzeihen. Aber wir haben allen Anlass, auf die Gnade Gottes zu hoffen, dass er so barmherzig ist, uns die Vergehen nicht anzurechnen, obwohl wir es nicht wert sind.

Es heißt „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“. Wenn wir also, statt zu versuchen mit aller Kraft unseren Herrn zu lieben, uns hinreissen lassen, all unsere Energie ausschließlich in unseren Beruf, in Hobbies und Zerstreuung zu investieren, wenn unser Leben bestimmt ist von der Liebe zum Auto, zum Computer, zu Essen und Trinken, das ganze Jahr darauf ausgerichtet ist, einen schönen Urlaub zu machen, der Fußballclub, die Pop-Gruppe, das schöne Haus mit Garten unser Herz ausfüllen, machen wir uns schuldig. Denn es ist klar, dass wir uns dadurch von Gott entfernen. Und Sünde ist alles, was sich zwischen Gott und dich stellt.

Wenn wir es vorziehen, uns und unsere Wünsche in den Vordergrund zu stellen, werden wir sündig. Weil wir uns dadurch vom Mitmenschen entfernen und von Gott. Nur wenn wir versuchen, weniger uns selbst zu leben, können wir uns von der Sünde entfernen.

Es gibt Sünden, die Jesus selbst benennt: „Aus dem Herzen des Menschen kommen böse Gedanken und mit ihnen Unzucht, Diebstahl und Mord; Ehebruch, Habsucht und Niedertracht; Betrug, Ausschweifung und Neid; Verleumdung, Überheblichkeit und Unvernunft“ (Mk, 7, 21-22). Darüber hinaus kennen wir die Achtlasterlehre nach Evgarius Ponticus. In ihr werden Völlerei, Unzucht, Geiz, Zorn, Traurigkeit, Trägheit, Eitelkeit, Stolz als zentrale Sünden, die häufig andere Sünden nach sich ziehen, identifiziert. Diesen Sünden ist eins gemeinsam: Immer steht das Ich im Vordergrund, die eigenen Wünsche und Empfindungen.

Warum ist es nötig, sich mit seinen Sünden auseinander zu setzen? Wo es doch ein so quälender Prozess ist, dem man gerne aus dem Weg gehen möchte. Wo es mir doch so schwer fällt, mich wirklich auf Gottes Gebot einzulassen, vor dem meine Sünden auf einmal ganz klar werden. Und wo es so schnell passiert, wieder die richtige Sichtweise zu verlieren und großzügig mit seinen vermeindlich kleinen Vergehen umzugehen.
Wenn wir Jesus nachfolgen wollen, dann gibt es nur den einen Weg, den Er selbst beschreibt: „Wer mir folgen will, muss sich und seine Wünsche aufgeben, sein Kreuz auf sich nehmen und hinter mir her gehen.“ (Mk 8, 34-37). Wenn eben gerade dies Sünde ist, nur sich und seinen eigenen Wünschen zu leben, anstatt sie aufzugeben und für Gott und die Mitmenschen zu leben, dann ist es klar, warum der Weg, auf den Jesus uns ruft, nur über die Auseinandersetzung mit der Sünde führen kann. Ich glaube, der ernsthafte Kampf mit den eigenen Sünden ist ein Teil dessen, was „sein Kreuz tragen“ bedeutet. Zur Ernsthaftigkeit gehört dazu, nicht den Grad der Sünde ermessen zu wollen, sondern selbst anscheinend „kleine Sünden“ vollkommen wichtig zu nehmen und nicht eigene mit den Sünden anderer zu vergleichen.

(Georg)

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