† Deutschsprachige russisch-orthodoxe Kirchengemeinde in Hamburg

Warum im Stehen beten?

Warum ist es in der Orthodoxie nicht üblich, während des Gottesdienstes zu sitzen?

Die Christen des Ostens sitzen selten oder fast nie während des Gottesdienstes, was mit der Meinung Tertullians übereinstimmt, der in seinem Gebetbuch sagt: “Es ist im Allgemeinen unziemlich, in Gegenwart und vor dem Angesicht dessen zu sitzen, den man fürchtet und ehrt, und noch unheiliger, vor dem Angesicht des lebendigen Gottes zu sitzen, vor dem auch die Engel mit Furcht und Zittern stehen”.

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“Ist es Pflicht, während des Gottesdienstes zu stehen? Warum kann man nicht sitzen?”

Erzbischof Vincentius antwortet:

– In unserer orthodoxen Kirche ist es üblich, während des Gottesdienstes zu stehen. Denn in diesem Moment stehen wir vor Gott, und das ist auch eine Art Heldentat. Wir haben auch die Tradition, unsere Älteren zu respektieren und zu ehren. Wenn wir also einen Menschen sehen, der älter ist als wir, behandeln wir ihn mit Ehrfurcht und stehen auf. So steht es im Alten Testament geschrieben: “Steht vor dem Angesicht des Ältesten und ehrt sein Angesicht”. Umso mehr sollten wir Gott ehren, denn er ist unser Schöpfer, unser Versorger und unser Fürsorger.

Wir sind in die Kirche gekommen, um mit Gott zu sprechen und Ihn um Vergebung unserer Sünden zu bitten. Als Zeichen dafür, dass wir uns unserer Sündhaftigkeit bewusst sind, vollbringen wir diese kleine Heldentat – wir stehen während des Gottesdienstes. Es mag schwer sein, die Füße schmerzen, trotzdem wir halten durch – um des Herrn willen, der uns unsere Sünden vergibt. Damit der Herr unser Opfer sieht, unsere Gebete erhört und uns Sein Erbarmen schenkt. Deshalb stehen wir in unserer russisch-orthodoxen Kirche beim Gottesdienst und sitzen nicht.

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Ich gehe nicht zur Kirche, da es mir sehr schwerfällt, mich in einer großen Menschenmenge auf das Gebet zu konzentrieren…..

Priester Michael Nemnonov antwortet:

– Als Christus auf Erden lebte, folgten ihm Tausende von Menschen, die ihm zuhörten und bis zum Abend weder aßen noch tranken. Ich glaube, wir sind in einer komfortableren Situation. Fällt es Ihnen leicht, sich auf das Gebet zu konzentrieren, wenn keine Menschenmassen da sind? Zum Beispiel zu Hause, morgens und abends? Das geistliche Leben ist Arbeit, keine Erholung. …..

Und es ist der Trost derer, die keinen Trost suchen.

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In der Kirche gibt es Bänke an den Wänden, dennoch es ist für mich, einen im Allgemeinen gesunden Menschen, unangenehm, darauf zu sitzen. Wenn ich es wage, mich zu setzen, stellt sich meist heraus, dass die Bänke schon besetzt sind. Manchmal beneide ich die römischen Katholiken um ihre Bänke. Und sie sagen, dass sie es schätzen, dass man in der Kirche nicht an einen Platz gebunden ist, sondern sich bewegen kann, ohne die anderen zu stören (es sei denn, die Kirche ist überfüllt). Man sagt, dass die Gläubige früher in den orthodoxen Kirchen auch während des Gottesdienstes saßen. War das so? Und wenn ja, warum ist das heute nicht mehr so?

Antwortet Priester Oleg Davydenkov, Doktor der Theologie:

– In der Tat konnten die Gläubigen vor dem sechsten Jahrhundert im Sitzen beten. Im Tempel gab es keine besonderen Sitze, also saßen sie auf dem Boden. Doch wie wir wissen, liegt es in der menschlichen Natur, es sich so bequem wie möglich zu machen. Es gibt sogar eine Geschichte von einem Bischof, der Abt eines Klosters war. Während des Gottesdienstes setzte er sich nie für eine Minute hin. Als man ihn fragte, warum, antwortete er: “Wenn ich mich hinsetze, legen sich die anderen hin. Das stimmte. Sitzen ist natürlich bequem. Jedoch noch bequemer ist es, sich hinzulegen. So kann man sehr weit gehen. Und die orthodoxe Kirche hat die Bänke nicht von heute auf morgen aufgegeben. Sie ist aufgrund praktischer Erfahrungen dazu gekommen. Wenn man im Stehen betet, entspannt man sich nicht, und wenn man sitzt, fühlt man sich schläfrig. Die Praxis zeigt, dass die Seele im Gebet ist, wenn der Körper im Rhythmus ist.

Im Blick auf die Kranken sagte Metropolit Philaret (Drozdov) von Moskau: “Es ist besser, im Sitzen über Gott nachzudenken als im Stehen über die eigenen Füße”. Allerdings ist es auch für Kranke besser, im Stehen die Lesung des Evangeliums zu hören, natürlich, wenn sie dazu in der Lage sind.

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Hieromonch Alexis:

– Zur Frage, ob man im Sitzen oder im Liegen beten kann, würde ich sagen: Es ist besser, im Sitzen oder im Liegen zu beten, als gar nicht zu beten! Aber denken Sie auch daran, dass Faulheit kein Grund ist, sich nicht zu ermutigen, im Stehen zu beten.

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Erzpriester Sergius Baranov:

Warum stehen wir in der Anbetung? Wir bringen Gott ein Opfer. Wir sind dazu verpflichtet. Und damit beweisen wir, dass unsere Liebe aktiv ist. Die ganze orthodoxe Askese beruht auf diesem Sinn: Wir opfern immer für den Geliebten, wir zwingen uns. Moderne Liberale sagen: “Gott braucht unsere irdischen Verbeugungen und Dinge nicht. Wir müssen nur alle lieben, das ist alles”. Man kann nicht alle lieben, ohne durch die Askese zu gehen, das Ego zu unterdrücken.

Dieses Ego wird euch nicht erlauben, andere zu lieben. Es wird immer dominieren. Die wahre Liebe beginnt erst dort, wo der Egoismus überwunden ist. Und die Überwindung des Egoismus bedeutet Askese. Eine lange, lebenslange Askese. Rücksichtslos, streng gegen sich selbst. Von Liebe ohne Askese zu sprechen, ist eine Worthülse.

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Wie man Müdigkeit besiegen kann:

Bitten Sie den Herrn, Ihre Schwäche durch Ihre Worte zu stärken, und Sie werden seine Barmherzigkeit sehen. Und der einfachste Weg ist, die Kreuzigung zu betrachten, Christus am Kreuz hängend. Und sich für eigene Schwäche zu schämen.

Wenn Sie zum ersten Mal einen Gottesdienst besuchen und nicht regelmäßig an den Sakramenten der Beichte und der Kommunion teilnehmen, dann sind die Müdigkeit, der Mangel an Luft und der schwere Geruch von Weihrauch, den Sie beim Husten nicht ertragen können, eher geistiger als körperlicher Natur. Es handelt sich nicht um den Körper, sondern um die Sünden. Nach einer aufrichtigen Beichte und der Kommunion verschwinden die drückenden Gefühle in der Regel.

Die Ermüdung von Neuankömmlingen hat auch eine rein psychologische Seite: Da sie den Aufbau und die Dauer des Gottesdienstes nicht kennen und die kirchliche Sprache nicht verstehen, ist es viel schwieriger, zu beten. Im Allgemeinen verhält sich die Müdigkeit umgekehrt proportional zur Aktivität des liturgischen Lebens. Je öfter Sie in der Kirche beten, desto natürlicher wird der Gottesdienst sein.

Und denken Sie daran: Der Mensch wächst geistlich nur, wenn er sich anstrengt.

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